Architektur kann man nur begreifen,
wenn man sie begreifen kann
Mit diesem Leitsatz bekräftige ich die Notwendigkeit meiner Lehre Modell+Design. Zu jenem Zeitpunkt, als ich den Leitgedanken formulierte und erstmals vortrug, konnte ich noch nicht ahnen, welche Tragweite dieser Slogan für mich einmal haben sollte.
Im Jahr 2002 erteilte mir der Deutsche Bundestag den Auftrag, ein Modell des Reichstagsgebäudes zu konzipieren. Das Besondere daran: Es sollte ein Tastmodell für blinde und sehbehinderte Menschen entstehen. So entwickelte sich Schritt für Schritt aus diesem Projekt heraus die parallele Lehre „Design for all“, mit all ihren Möglichkeiten einer praktischen Umsetzung. Gemeinsam mit meinen Mitarbeiterinnen, Mitarbeitern und Studierenden gelang es, das Fach „Modell+Design“ auch in diese neuen Bahnen lenken.
Die dreidimensionale Kommunikation bestimmte mein Studium und später meine Lehre. Die Vorstellung: „Ich bin Designer“ blieb meist nicht unkommentiert. Oft wurde ich gefragt: „Was macht denn ein Designer so?“ Häufig lautete meine durchaus polemisch gemeinte Antwort: „Dinge, die keiner braucht.“ Durch die Arbeit mit blinden und sehbehinderten Menschen, ursprünglich angeregt durch das Tastmodell des Berliner Reichstags, wurde dann aber mein Drang nach Polemik jäh begraben, denn mein Design hat durch die Beschäftigung mit den Problemen und Herausforderungen der Barrierefreiheit unmittelbar an praktischem Sinn und Notwendigkeit gewonnen und sie leistet einen Beitrag zu dem, was heute unter Partizipation und Teilhabe verstanden wird.
Eine neue Lehre
Der gestalterische und funktionale Umgang mit Inhalten der Barrierefreiheit war und ist ein fester Bestandteil der Lehre am Fach „Modell+Design.“ Die Symbiose aus dem über Jahre hinweg systematisch entwickelten Know-How, der Integration des spezifischen Wissens Betroffener und dem daraus entstandenen, erfolgreichen Netzwerk aus Bildung, Politik, Wirtschaft und Kultur wäre die solide Basis für die Implementierung eines neuen Fachs an der TU Berlin.
Modell+Design
for All
Diese Lehre hat das Potential, eine wirksame und beispielhafte Vorreiterrolle als Lehrfach an einer Deutschen Universität einzunehmen:
Die einmalige Verbindung von Theorie und Praxis gewährleistet, dass Studierende als zukünftige Planer für einen Gebäude- und Städtebau sensibilisiert werden, der allen Menschen – auch solchen mit Einschränkungen – gerecht wird.
Die Erfolge im Design for all des Fachs Modell+Design sind schon Heute wegweisend für die Praxis und wurden bereits mehrfach mit internationalen und nationalen Preisen ausgezeichnet.
Ein ganz besonderes Dankeschön geht an dieser Stelle an unsere blinden und sehbehinderten Weggefährten: Reiner Delgado – Thorsten Wolf – Roswitha Röding – Dietmar Gasch – Franz Rebele. Ihr habt uns gezeigt wo`s lang geht!
Da waren die Skatabende, die Barcelona-Reise, der Konzertbesuch in der Waldbühne bei Peter Maffai, die „Wandertage“ durch Berlin und die Aktionen im Reichstag und dem Regierungsviertel, da war die EXPO in Shanghai und einige Ausstellungseröffnungen. Ihr ward in den Seminaren an unserer Seite und habt uns in allen Design for all-Projekten wunderbar beraten. Danke, danke, danke!
Das neue Design
für alle
Taktile Modelle vom Reichstagsgebäude und seiner Umgebung
Die Kommission des Ältestenrates für Innere Angelegenheiten des Bundestages nahm den Wunsch blinder und sehbehinderter Besucher zum Anlass, ein Modellprojekt für mehr Barrierefreiheit zu initiieren. Sie beauftragte das Fach Modell+Design am Institut für Architektur der TU Berlin mit der Realisierung.
Aus mehr als 1000 Einzelteilen entstanden in zweieinhalb Jahren ein detailgetreues, blinden- und sehbehindertengerechtes Modell des Reichstagsgebäudes, ein Querschnittsrelief und ein Stadtmodell der Umgebung. Ausschnitt des Parlament- und Regierungsviertels mit Brailleschrift, Dauerausstellung im Reichstagsgebäude. Heute begreifen” über 75.000 Besucher jährlich die Modelle des Reichstagsgebäudes.
Werkstattgespräche
Bitte berühren!
Studierende bauten Arbeitsmodelle zur Volumenbestimmung als Gesprächsgrundlage für das erste Zusammentreffen mit blinden und sehbehinderten Menschen.
Presse
Präsentation der Arbeitsmodelle
Vorstellung der Modelle vor der Kommission des Ältestenrates mit den Bundestagsabgeordneten Dagmar Freitag und Peter Rammsauer sowie Burkhard Lüdtke im Marie-Elisabeth-Lüders Haus
Materialstudien
Zusammenbau des Modells
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Mehr als 1000 Einzelteile. Zweieinhalb Jahre Arbeit
Werkschau auf der Plenarsaalebene
Taktiler Kuppelguide
Neuheit für die Reichstagskuppel
Ein taktiler Kuppelguide führt blinde und sehbehinderte Besucher durch die Reichstagskuppel. Begleitet von den auditiven Informationen ertastet man sich elf Berliner Wahrzeichen, die beim Rundgang durch die Reichstagskuppel sichtbar sind.
Bei der Entwicklung der Relieftasche stand die optische und gleichsam taktile Ästhetik im Mittelpunkt der Gestaltung.
Der Anspruch einer leichten Bedienbarkeit, die Notwendigkeit einer stabilen Konstruktion und das Ziel, das Gewicht so gering als möglich zu halten, machte dieses Projekt auf der Suche nach dem Einklang von Schönheit und Funktion zu einer besonderen Aufgabe.
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Berlinpräsentation
auf der EXPO 2010
in Shanghai
Close your eyes and see
Close your eyes and see formuliert Impressionen der Stadt – eine wertfreie Darstellung von Inhalten und Begriffen. Neben den dunklen, beleuchteten Modellen werden Begriffe, die Berlin ausmachen, als dreidimensionale chinesische Schriftzeichen, Skulpturen gleich, in den Raum gestellt und den Interpretationen der Besucher ausgesetzt.
Ganz bewusst wird auf eine multimediale und animierte Darstellung Berlins verzichtet. Eine verschleiernde Hülle umschließt einen Erlebnisraum, der nicht auf den Besucher zugeht, sondern ihn um Erkundung und spielerisch um sinnliche Wahrnehmung bittet. Zurückhaltend und fast still soll das hör- und fühlbare Berlin sichtbar gemacht werden.
Der Berlingast setzt sich eine bedruckte Dunkelbrille auf, die er als Souvenir behalten kann. Geleitet durch ein Geländer startet er am Hauptbahnhof. Dort wird er durch die Ansage “Welcome to Berlin” und die typischen Bahnhofsgeräusche begrüßt. An einem Tastmodell kann er den Bahnhof und seine Umgebung mit Händen begreifen.
“Die Nachbildungen, die die Technische Universität Berlin erstellt hat, sind im Originalmaßstab entstanden und begeistern durch ihre Exaktheit und Liebe zum Detail. Bewusst setzt die TU Berlin verschiedene Bodenbeläge wie Sand und Stein ein, um dem Besucher Berlin mit allen Sinnen näher zu bringen.”
Die Ausstellung soll dem Publikum unter anderem einen Einblick in ein barrierefreies Planen und Bauen in der deutschen Hauptstadt geben.
Webseite Deutscher Pavillon
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Mein Dank geht an das engagierte und mir sehr sympathische Filme-Team: Martin Priess, Willi Neumann, Mario Krauß,
die fleißigen Helferinnen und Helfer: Alexander Hammes, Max Holle, Sebastian Hable, Robert Niemann, Jinyoung Cho, Olivia Tilgner, Anne Prellwitz, Tamara Regosz, Sebastian Welzel, Yusi Zhao, Alexander Körber, Martin Herrmann, Sarah Haase, Jens Friedrich, Claudia Lüth, Christine Sitte
und: Lucas Müller (Fotograf) sowie Thorsten Wolf vom ABSV
Taktiles Modell
des Bundesministeriums
für Arbeit und Soziales
Eröffnung der Ausstellung im Kleisthaus mit Modellenthüllung durch den Staatssekretär im BMAS Gerd Hoofe, Burkhard Lüdtke und den Sozialreferenten des DBSV Reiner Delgado
Das Modell befindet sich seit 2014 in einer Dauerausstellung in den Räumen des BMAS Berlin Mitte.
Berlin begreifbar für Alle
Ingeborg Stude war und ist für mich die Königin der Barrierefreiheit. Ich danke ihr für die engagierte, vertrauensvolle und jahrelange Zusammenarbeit.
Sprechendes Stadtmodell
Das 4,5 x 1,5 Meter große taktile Stadtmodell wurde in Zusammenarbeit mit der FH Joanneum mit RFID-Technologie ausgestattet. Das Modell ist sowohl für blinde und sehbehinderte Menschen als auch für Menschen mit Hörbehinderungen mit einem Smartphone zugänglich.
Dauerausstellung im Lichthof der SenStadtUm, Am Köllnischen Park in Berlin Mitte.
Kooperation mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt
Denkmalschutz &
Barrierefreiheit
Das Seminar
Im Fokus dieses Seminars, das wir in Kooperation mit dem Landesdenkmalamt und der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz durchgeführt haben, stand die Frage: „Wie schaffen wir ästhetisch-funktionale Erschließungsmöglichkeiten für bewegungseingeschränkte Menschen in drei ausgewählten denkmalgeschützten Bauwerken?“
Über 50 Studierende analysierten, ausgerüstet mit Basiswissen zum barrierefreien Bauen, die Ziele des Denkmalschutzes hinsichtlich der Überwindung möglicher Barrieren. Die Projektideen wurden am Beispiel der Neuen Nationalgalerie, der St. Hedwigs-Kathedrale und des Alten Stadthauses in Berlin entwickelt.
Das Problem
Dem Wunsch nach unverfälschter Beständigkeit historischer Denkmäler stehen die Interessen derjenigen Menschen gegenüber, denen der unmittelbare Zugang aufgrund der baulichen Gegebenheiten verschlossen bleibt.
Die Lösungsansätze
Unsere Studierenden haben vielseitige, mutige, überraschende und engagierte Lösungsansätze entwickelt, um dieses Problem des „unverfälschenden Zugangs“ zu lösen. Ganz nach dem Motto: „Die beste Gestaltung ist diejenige, die nicht auffällt“, strebten sie nach dem Ziel einer unauffälligen Symbiose von denkmalgeschütztem Bestand und notwendigem Eingriff.
Erst wenn die Interessen der Barrierefreiheit und die Achtung denkmalgeschützter Architektur ästhetisch und funktional in Einklang gebracht sind, können wir von einer sinnlichen und sinnvollen Gestaltung sprechen.
Projekte der Studierenden
Eine Wanderausstellung
Das Ausstellungssystem ist variabel, leicht auf- und abzubauen und nicht zuletzt kostengünstig.
Die Besonderheit ist: die Transportkisten sind gleichzeitig Ausstellungsträger. Die Ausstellung ist barrierefrei zugänglich.
Ausstellungen
- Dauerausstellung im Alten Stadthaus Berlin seit 2016
- TU Berlin IfA 2016
- Abtei Neumünster Luxemburg während der „Journées du Patrimoine“ Oktober 2016
- Ernst-Reuter Haus Berlin 2016
- Landesmuseum für Vorgeschichte Halle 2017
- Abgeordnetenhaus Berlin 2017
Liebe Annamaria Odenthal, Liebe Ingeborg Stude, so gute Ergebnisse entstehen nur, wenn man sich versteht.
Barrierefreiheit – noch nicht Massenkompatibel
Um es nicht bei allgemeinen und theoretischen Willensbekundungen zu belassen, versprachen wir, eben jenen – damals, in den Ursprüngen, für die breite Masse noch nicht so attraktiven, wenn auch interessanten – „Randbereich“ der Barrierefreiheit mit zeitgemäßen, aktuellen und kreativen Mitteln nach der folgenden Prämisse anzugehen:Auch „Minderheiten“ bzw. „Randgruppen“ wollen die Ästhetik und die Funktionen des aktuellen und modernen Designs als einen selbstverständlichen Teil der breiten Wahrnehmungsnorm genießen. Sie wollen kein spezielles Design, sie wünschen sich die „normale“ Ästhetik und die „normale Funktion“. Hier liegt das Zentrum meiner Lehre: in der Schaffung ästhetischer und funktionaler Dimensionen von Objekten für alle Nutzerinnen und Nutzer, unabhängig von ihren jeweiligen Besonderheiten, die sie gleich wieder als „aus der Norm fallend“ ausschließen würden. Es geht eben genau um ein „Design for All“.